Sunday, June 9, 2013

Semantisches Web

Der nächste große Trend im World Wide Web, und zwar in einer Liga wie das Web 2.0, ist das Semantische Web. Das heißt: Google und Konsorten versuchen, die Technik dazu zu bringen, zu verstehen, was die Worte bedeuten.
Momentan ist es so, dass Suchmaschinen et al. Worte als Black Boxes betrachten, mit denen man bestimmte Operationen durchführen kann (sie "durchdringen" das Wort also nicht, beziehungsweise verstehen den Sinn des Wortes nicht).
Google ist schon nahe dran, Wörter zu verstehen; wenn man mit GoogleMail eine eMail schreibt, das Wort "Anhang" verwendet und nichts anhängt, erscheint ein Dialogfenster: "Möchten Sie einen Anhang beifügen?". Google macht das über einen Eintrag in einer Datenbank, worin steht: "Wenn jemand das Wort "Anhang" verwendet UND keinen Anhang anhängt, DANN öffne das Dialogfenster."
Nun könnte man nach und nach für jeden Begriff so einen Befehl schreiben und auf diese Weise mit technischen Mitteln die Normalsprache abbilden.
Das Problem ist jedoch, dass dann die Datenbanken gigantisch werden (Big Data). Zu deren Verwaltung reichen die herkömmlichen logischen Verknüpfungen (die weiterhin mehr oder weniger auf der Boolschen Logik basieren) nicht mehr aus. Wie kommt man auf bessere? Die Semantik, als philosophische und philologische Wissenschaft könnte hier helfen. Die Frage ist also, ob die Theorie schon weiter ist als die Technik und falls ja: Wie man das nutzen könnte.
Man denkt oft (unnötig eingeschränkt) die Innovation nur aus der User-Perspektive. Besser wäre vom System aus Neues zu denken (um auf wirklich Neues zu kommen).

Bitte vergleiche auch hier, warum das bei der Kunst nicht funktionieren würde.

Sachen und Dinge

Derrida zufolge neigt das westliche Denken dazu, Hierarchien zu bilden. Klar sind Ideologien nicht so gut, aber ganz ohne Ideologien wären wir keine intelligiblen Subjekte mehr. Darauf wies schon Althusser hin.
Was der Philosophie und der Theorie generell ja oft vorgeworfen wurde, ist, dass sie sich nur um die Begriffe, nicht aber um die Dinge selbst kümmert. Adorno versucht zu bestimmen, an welcher Stelle sich die Begriffe und die Sachen treffen.
Zitat Adorno (Aus der Negativen Dialektik, Abschnitt "Entzauberung des Begriffs"): "Tatsächlich kann keine, selbst nicht der extreme Empirismus, die facta bruta, an den Haaren herbeischleppen [...] keine Einzeldinge in die Texte kleben." Niemand zweifelt ja daran, dass es so etwas wie Realität gibt und, nun, Begriffe sind Teil der Realität.

Tuesday, May 21, 2013

Ludwig Wittgenstein



Auf philosophischen Gruppenfotos fällt Ludwig Wittgenstein stets auf.
Es gibt eine Sache, die man wissen muss, wenn man Wittgenstein liest: Er hat eine frühe Phase und eine späte Phase und die beiden unterscheiden sich. Er unterscheidet sich in jeder dieser beiden Phasen massiv von dem Wittgenstein, der er in der jeweils anderen Phase ist. Zu jeder Phase gehört ein Buch: Zur frühen der Tractatus Logico-Philosophicus, zur späten die Philosophischen Untersuchungen.

Im Tractatus Logico-Philosophicus versucht Wittgenstein die einzelnen Elemente von Sprache und Wirklichkeit herausarbeiten und aufzuzeigen, wie sie sich aufeinander beziehen; er will beweisen, dass der logische Aufbau der Welt den logischen Aufbau der Sprache spiegelt (sogenannter Logischer Atomismus). Der Wittgenstein des TLP ist ein großer Fan vom Zurückgehen auf Grundbausteine. Das ist seine Methode und das meint er, wenn er zu diesem Zeitpunkt in seinem Leben von Analyse spricht. Dahinter steckt eine Bevorzugung der Tiefe gegenüber der Oberfläche. Das kann man ihm nicht vorwerfen; das ist in Europa ein tiefsitzendes kulturelles Vorurteil; nämlich, dass Oberfläche etwas schlechtes und Tiefe etwas gutes sei. Ständig wurde in der Philosophie auf die "Tiefenstruktur" verwiesen: Im Strukturalismus, bei Chomsky, in der Tiefenpsychologie. Der frühe Wittgenstein würde sagen: Etwas zu verstehen, heißt, es zu analysieren: Also etwas, das sich unter der Oberfläche befindet, nach oben zu heben.

Der späte wird unter "Verstehen" etwas anderes, naja, verstehen. Nämlich: Verstehen als Besinnen. Für den späten Wittgenstein bedeutet Analyse das Gewinnen einer Übersicht. Darum geht es dann in den Philosophischen Untersuchungen. Da betont Witty nämlich die positive Bedeutung der Oberfläche. Damit meint er jetzt nicht, dass man sich auf die Oberfläche beschränken und nicht mehr unter die Oberfläche blicken sollte. Er weist nur bescheiden darauf hin, dass es hier offenbar ein Muster gibt, dem gemäß die Erkenntnis funktioniert. Die Frage, ob die Welt und Sprache wirklich aus kleinsten Einheiten zusammengesetzt ist, lässt Wittgensteinski einfach fallen.

Im TLP hat Wittgenstein den Eindruck, er hätte die Regeln der Logik entdeckt. Später ist er sich da nicht mehr so sicher. Präziser: In den PU stellt er fest, dass Regeln eine gesellschaftliche Praktik sind. Also etwas, das sozial konstruiert wurde. Die soziale Praxis ist damit das Primäre. Aus dieser Perspektive fragt er nun, welchen Stellenwert Logik haben soll, wenn auch ihre Regeln nicht universell gültig, sondern konstruiert (eben nur eine Möglichkeit) sind.

An dieser Stelle wirft Habermas ihm vor, dass das Setzen von gesellschaftlicher Praxis als Begründung von Regeln auf Willkür und Beliebigkeit hinausläuft. Ja, ist halt so, sagte Derrida später, die Alternative ist entweder Logozentrismus ("Die harten Regeln der Logik sagen uns, wie's is'") oder Unverständlichkeit ("Wir haben unsere Regeln - andere haben andere - es spielt keine Rolle").

Manchmal ist Wittgensteinewitsch etwas vernagelt, beziehungsweise er stellt etwas eigentlich ganz banales als große Erkenntnis dar. Zum Beispiel, wenn er feststellt, dass es einen Gegensatz zu geben scheint zwischen dem Wesen der Sprache und dem Alltagsgebrauch  der Sprache. Er identifiziert eine essentialistische Interpretation dieser Beobachtung ("Es gibt den Kern/Informationsgehalt eines Satzes und darum herum liegt so eine Art Wortnebel, den es zu lichten gilt") und eine anti-essentialistische ("Es ist nicht möglich, den objektiven Kern eines Satzes auszumachen"); entscheidet sich aber nicht für die eine oder andere, sondern versucht, die beiden in eine Art Dialog treten zu lassen.

Kann man sagen, dass der späte Wittgenstein ein Phänomenologe ist? Auf jeden Fall interessiert er sich mehr für das Phänomen selbst, statt etwa für seine Struktur. Das als philosophisches Forschungsprogramm auf Deutsch durch zu ziehen, ist nicht einfach: Im deutschen Wort "Erscheinung" steckt ja schon der Platonismus. Etwas er-scheint (das heißt, die Erscheinung ist nicht das nicht-scheinende, also nicht das echte).

Ein Beispiel: Den Sinn einer Kurbel begreift man nicht, indem man die Kurbel analysiert, sondern nur, wenn man die Maschine als Ganzes betrachtet.

Der späte Wittgenstein würde (und zwar im Gegensatz zu Carnap) nicht Heidegger verbieten, sondern nur sagen, dass man mit ihm vorsichtig sein muss. Eine gänzlich logische Sprache wäre lebensunfähig - dass unsere Umgangssprache unlogisch ist, macht unsere Kultur möglich. Das ist auch ganz wichtig, festzuhalten: Der späte Wittgenstein verbietet Analyse nicht, er findet sie nur nicht als zur Wahrheitsfindung absolut unabdingbar. Eine Richtigkeit der Analyse orientiert sich nicht an einem "Wesen" des Dings. Die logische Analyse tut so, als würde sie nur etwas zerlegen, tatsächlich erzeugt sie etwas, bei der Analyse werden die zu analysierenden kleinsten Teilchen erst hergestellt. Der Irrtum des TLP lag darin, zu glauben, alles sei analysierbar nach der Weise des zu reinigenden Kristalls.

Wittgenstein ist nicht grundsätzlich gegen die Frage nach dem Wesen (vgl. PU #92); man müsse sich nur immer des Kontextes klar sein. Man kann nicht unterstellen, dass überall ein Kristall, bzw. ein Wesen drin ist. Wittgenstein sagt nicht, dass die logische Analyse falsch ist, sondern dass sie kontextualisiert werden muss. Wittgensteins Lösung ist, dass wir einfach schauen, wie Sätze tatsächlich funktionieren (statt darauf, wie sie funktionieren sollten).

Wittgenstein fühlt sich von dem großen Käfer ein bisschen eingeschüchtert (Metapher für verdrängte Homosexualität?).Es gibt keine Hierarchie der Worte.
Alle Worte sind gleichwertig.

Die PU sind nicht unbedingt leicht zu lesen. Man fragt sich oft, warum er nicht einfach sagt, was er meint: Titten auf den Tisch! Wittgensteinenstein ist jedoch der Ansicht, dass Dinge, um die es ihm geht, nur in der Bewegung des Denkens erfassbar sind. Man kann sie nicht nennen; man kann nur reden und dann ist ein bestimmter Aspekt des Aktes des Redens das, worum es ihm geht. Deswegen kann man seine (späten) Texte auch nicht ohne weiteres auseinanderfrickeln und dann Lexikon-Eintrag-mäßig anordnen: Dann ginge was verloren.

Damit steht er in einer Reihe mit Philosophen wie Platon oder eben Derrida, dieser Partynase. Die beide schreiben Dialoge oder dialogartige Texte, weil sie wollen, dass der Leser selbst denkt. Bei Witty ist der Focus ein bisschen anders: Er glaubt, dass, je nachdem, von wo aus man blickt, dieses oder jenes die Wahrheit ist. Das Dialogische bei Wittgenstein kommt außerdem daher, dass er immer versucht, die Position seines Gegners mitzudenken.
Dabei ist das mit dem Gegner so eine unklare Sache. Es ist keineswegs klar, wer sein Gegner ist und wogegen Wittgensteinski da gerade eigentlich anschreibt.
Gilt übrigens auch für Derrida.