Sunday, October 23, 2011

Organe ohne Körper

Ein Wort zuvor: Dass ich weiß, dass es eigentlich nicht so ist, dass es an meiner Perspektive liegt: Augenlos. Enthüllung, also, auf Griechisch: Apokalypse. Was wird hier enthüllt? Das, was ich als Schrecken wahrnehme, zeigt etwas auf – aber was? Entsteht die Angst daraus, dass ich das Ereignisgeflecht nicht in mein Selbstsystem 
einordnen kann? 

Schon Tage vorher tauchte am Himmel eine zweite Sonne auf. Sie war schwarz. Ich sah sie und ignorierte es, machte mir keine Gedanken. Sie schwoll an und brach auf; es war, als würde der Himmel zerbrechen. Genauer: Als sei das, was den Himmel zum Himmel macht, weggefallen, davongekippt. Was anschließend am Himmel zu sehen war: Die Vor-Wirklichkeit. Das, woraus Wirklichkeit hergestellt wird, die Welt der Menschen in dem Zustand ohne Menschen; etwas, was nicht dafür bestimmt war, dass der menschliche Blick darauf fällt. 

Das geschah gleichzeitig auf einmal und nach und nach. Teile der heilen Welt fielen wie Fleischstücke von einem Körper. Danach schien fahles, graues Licht aus einer unbestimmten Quelle. Jetzt keine Sonne und kein Ton, kein Ton und keine Sonne jetzt. 


Nichts. Sein im Nichts, Zerfall. Und kein Königreich mehr und ich auch nicht mehr König, nicht einmal mehr König Eidechse, sondern ORGANE OHNE KÖRPER, zusammengehalten von einem Namen. 

Wie ein vertrautes Geräusch von weither: Die Erinnerung daran, dass ich das schon einmal durchgemacht habe. Daher bin ich im Besitz einer Karte, eines Plans.

Als ich aus dem glaslosen Fenster der Ruine schaue, die mal ein Schloss, mein Schloss war, blicke ich in zwei rote Augen. Aber im Gegensatz zu damals, zum ersten Mal, erstarre ich nicht, breche ich nicht zusammen, sondern weiß: Das ist Einsamkeitspanik. Komm rein, Einsamkeitspanik. Ich habe Dich erwartet. Lass uns anfangen.  

Ich will mich zurückziehen, aber es gibt keinen Ort, der nicht angegriffen, zerstört ist. Streife ziellos umher, verwirrt, überfordert, zunehmend angefressen.

Ich denke mehr, als ich weiß, 
ich hoffe mehr, als ich spüre, 
dass tief unter der Erdoberfläche etwas überlebt hat. Widerstandfähige, ledrige, hässliche Wesen, die ich nicht bemerkt habe, bevor die schwarze Sonne am Himmel erschien. Die in der Lage wären, einen Wiederaufbau durchzuführen. 


Siehe, etwas hat tatsächlich überlebt. Ich höre ein dumpfes Hämmern in der Tiefe, ein Rollen, ein rhythmisches Schlagen. Ich suche und finde einen Eingang in das Erdreich, zwischen ausgebrannten Baumstümpfen, bei einem Bach. Ich steige eine Treppe aus gestampften Torf herab. Am Ende erhebt sich ein unterirdisches Gewölbe, in dem tatsächlich gearbeitet wird. Ich werde nicht durchgelassen. Wesen des Untergrunds bemerkten meine Anwesenheit und schicken mich höflich, aber sehr bestimmt zurück. Ich kann hier nichts tun. Das muss von alleine geschehen. 

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