Sunday, August 29, 2010

Gaya und die Couch: Keine Erleuchtung

Der Atlas zeigt die Welt nicht weniger als unseren Geist; wobei Westmitteleuropa unser Alltagsbewusstsein ist. 

Wir haben wilde, libidinöse Neigungen (Spanien, Italien) und manchmal Momente von Nachdenklichkeit und Melancholie (Finnland, Island), aber im großen und ganzen folgt das Tag-Denken der Form, die Karl der Große ihm vorgab: Unser Alltagsbewusstsein ist, in die Geographie übersetzt (wie die sinnige Übersetzung der Architektur in den Tanz) Frankreich-Deutschland.

Osteuropa ist unser aller Unterbewusstsein. Wir wissen nur vages darüber, schämen uns manchmal, dass es zu uns gehört, lassen uns aber (in Abgrenzung und Affirmation) von seinen Vorgaben leiten. Der Urgroßvater aus Ostpreußen, das -ski im Nachnamen, die unaussprechlichen Gedanken, die wir mit uns herumtragen, dass uns „System of a Down“ magnetisch anzieht, obwohl wir unsere Metal-Tshirt-Zeit eigentlich überwunden haben: Um Die Länder zwischen Ural und Oder zu verstehen, brauchen wir Freund, nicht Brückner.

Je weiter wir den Globus drehen, auf desto tiefere Schichten unserer Seele stoßen wir, bis wir im fernsten Osten im buddhistischen Mönch unser innerstes Selbst, das „Herz des Herzens“ (Hegel), treffen. Nicht von ungefähr galt die Reise gen Osten seit jeher als die Reise zur spirituellen Wahrheit, während die Reise in den Westen nur schnöde Reichtümer und Massaker an der einheimischen Bevölkerung verhieß.

Doch was erwartet den Reisenden auf der Suche nach seinem Ich im fernsten Osten? Sehr reale Tempel, menschliche Priester, Steppen, alte Berge und vor allem: Keine Überraschung. Nichts, was er sich im westlichen Kuschelheim nicht schon ausgemalt hätte. Am Ende der Reise zum Selbst steht kein Ort, wartet keine neue Erkenntnis, bloß ein Platzhalter.

Denn der Kern des Selbst, das wahre Ich, ist nicht der Kern des Selbst, das wahre Ich, sondern die Reise, die Suche, die man unternimmt, um es zu finden. Letztlich ist egal, ob man die Suche abschließt oder nicht und ob man etwas findet oder nicht. Deshalb fällt es Leuten, die die Erleuchtung schließlich erreichten, so schwer, zu sagen, worin diese eigentlich bestand. 

Sunday, August 22, 2010

Worum geht es wirklich in "Bis(s) zum Abendrot – Eclipse"?

Was ist David Slades' „Eclipse“? Ein billiger Massenwaren-Film mit stereotypen Charakteren und einfallslosen Dialogen? Dagegen spricht, dass Slade ansonsten anspruchsvolle und sogar kluge Filme dreht (30 Days of Night, Hard Candy).

Oder ist „Eclipse“ vielleicht eher ein Film voller Rätsel? Das größte: Warum machten alle so ein Aufheben um Bella? Meyer-Fans entgegnen hier: „Lies das Buch!“, doch ich argumentiere dafür, dass Filme, auch Literaturverfilmungen, für sich stehen, ein eigenständiges Werk sind und sollten aus sich heraus begreiflich sein oder begreiflich gemacht werden können.

Klar, dass der Rummel um Bella (Kristen Stewart) nicht an Bella selbst liegen kann. Bella ist unattraktiv, träge, langweilig, passiv und charakterlos. Im ganzen Film gibt es nicht eine Szene, in der man als Zuschauer denkt „Oh, Bella … [du bist aber hübsch/klug/überraschend]“ Die Textur von "Eclipse" läuft dem ausgeprochenen, angeblichen Inhalt entgegen.

Das gilt auch für die beiden Protagonisten Jacob (Taylor Lautner) und Edward (Robert Pattinson). Die schockierende, tieferliegende Wahrheit von "Eclipse" ist, dass Jake und Edward schwul sind und aufeinander stehen. Da sie ihre Liebe aber nicht unmittelbar ausleben können, benutzen sie Bella als Bindeglied. Bella spielt die Rolle des lacanschen "verschwindenden Vermittlers": Kämen Jacobund Edward zusammen, bräuchten sie Bella nicht mehr. Aber sie können nicht zusammenkommen, daher ist Bella ihr notwendiger Verbindungspunkt. Die Unverwirklichbarkeit ihrer Liebe hält die Spannung und Handlung im Film aufrecht.

Was in „Eclipse“ negativ auffällt, ist die stereotype Darstellung homosexueller Heranwachsender. Praktisch kein Cliché wird ausgelassen. Jacob liebt Sport und „schweift“ gerne mit seinen (allesamt männlichen) Freunden in freier Natur umher. Alles kulturelle, „weibliche“ ist ihm fremd, er bevorzugt „männliche“ Tätigkeiten wie Bergsteigen, schwimmen oder Kämpfen und sieht sich selbst gerne als wilden, freien (und natürlich explizit männlichen) „Wolf“.


Obwohl behauptet wird, dass er Bella liebe und begehre, tut er es nie. Weder blickt er sie sehnend an, noch unternimmt er einen wirklichen Versuch, ihr seelisch oder körperlich nahe zu kommen. Sein einziger Alibikuss ist ein ungelenker, brutaler Akt – dem Zuschauer wird deutlich gemacht, wie sehr der Kuss Jacob zuwider ist.
Auch Edward sagt nur, er würde sie lieben, unternimmt aber nie etwas, das zeigen würde, dass die Gefühle, von denen er so gerne redet, wirklich wahr sind. Die Gesten, derer er sich bedient, um seine „Liebe“ zu Bella auszdrücken, sind manieriert und offensichtlich aus Hollywood-Liebesfilmen abgeguckt und nachgespielt.

Dass Bella die Falschheit der Zuneigung ihrer beider scheinbaren Verehrer entgeht, wird innerhalb des Filmes damit begründet, dass ihre Rolle ja auf Stumpfsinnigkeit“ hin ausgelegt ist.

Warum könnten Jacob und Edward nicht zu ihrer schwulen Liebe stehen? Warum verbiegen sie sich so und gefährden ihre und die Leben ihrer Familien, nur um die Scharade aufrecht zu erhalten?

Jacob kann nicht zu seiner Homosexualität stehen, weil er in einer traditionellen, vormodernen Gesellschaft lebt. In diesen ist Homosexualität traditionell tabu (so wie es auch keine schwulen Kelten oder Germanen gab). Dies festzustellen ist der Sinn der Pow-Wow-Szene, deren Auftauchen im Film ansonsten unverständlich bleiben würde.

Bei Edward liegt die Sache anders: Die Vampir-Szene lässt sich mit dem Militär vergleichen: In einer Organisation oder Gruppe, die fast schwul ist, deren Rituale und Praktiken fast schwul wirken, wird besonderer Wert darauf gelegt, markant heterosexuell zu sein. Und eine homosexuellere Umgebung als die der weiblichen, gepflegten, blassen, gefühlvollen Vampire lässt sich kaum vorstellen. Da sie sich fast schwul verhalten, wird offene Homosexualität nicht geduldet.

Die Pointe des Filmes ist, dass Jacob und Edward wissen, dass der jeweils andere genauso fühlt und genauso blockiert ist. Sie befinden sich daher in einem Zustand stummer Übereinkunft. In der Szene, in der Jacob, Edward und Bella zusammen in einem Zelt übernachten, schauen sich die beiden Protagonisten zwar wütend, aber auch leidenschaftlich und voller Verlangen an: Im gesamten Film wird keiner der beiden Bella auf diese Weise anschauen.