Franics Bacon zeichnet Körper, die aus ihrer Körperlichkeit heraustreten; sie wirken zerstört, beschädigt, demoliert. Sie sind jedoch nicht Körper, sondern Seelen, bestimmte Seelen: Die Art von Seele, die uns fehlt.
Ihren Kritikern bietet die im Sterben liegende Psychoanalyse vielfältige Einfalltore: die nicht falsifizierbare Instanzenlehre, die banale „psychosexuelle Entwicklung“, die überbewerteten Fehlleistungen. Ein Punkt wird aber immer wieder besonders herangezogen, wenn es um die vulgäre Falschheit der Psychoanalyse geht: Der sogenannte Ödipuskomplex. Tatsache ist, dass ihm kein empirisches Faktum entspricht: Alfred Charles Kinsey konnte in der groß angelegten Studie Sexual Behavior in the Human Male bereits 1948 nachweisen, dass Inzest auch für die Verhältnisse sexueller Perversionen ausgesprochen selten auftaucht - vom jüngeren Part ausgehender Inzest gar nicht. Doch eine solche Herangehensweise verfehlt den entscheidenden Punkt.
Denn beim Oedipuskompex geht es um die Konfrontation mit dem Lacanschen Realen. Der Therapeut will, dass man sich etwas Furchtbares (wobei die Fatalität nicht nur am Akt selbst liegt, sondern gerade daran, dass die Psychoanalyse verlangt, dass man es will) vorstellt und ins Innerste seines Selbst stellt. Es ist offensichtlich falsch, ausserdem anstößig und obszön. Doch der psychoanalytischen Anweisung zu folgen bedeutet, über seinen Schatten zu springen. Und das ist es, was uns fehlt.
Ein Beispiel aus dem Märchen: Peter Schlemihls wundersame Geschichte von Adelbert von Chamisso. Schlemihl schließt einen Pakt mit dem Teufel. Alle Wünsche werden ihm erfüllt, er lebt in Reichtum und Zufriedenheit. Das einzige, was der Teufel im Gegenzug verlangt, ist Schlemihls Schatten.
Uns geht es genauso: Wir wollen in Wellness und fit-gesundem Glück leben; was uns dabei verloren geht, ist die Fähigkeit, über unseren Schatten zu springen, ja, wir vergessen sogar, dass es diese Möglichkeit überhaupt gib.
Statt sie zu formen, verhätscheln wir unsere Seele. Was uns fehlt, ist ein Hunnenstrum.
Statt sie zu formen, verhätscheln wir unsere Seele. Was uns fehlt, ist ein Hunnenstrum.