Monday, December 12, 2016

Steuermann

Es gibt einen großen Diskurs, der alle anderen in der gegenwärtigen westlichen Gesellschaft überdeterminiert und dessen Spielarten sind Postmoderne, Kybernetik und Konstruktivismus und sie alle münden in den Neoliberalismus.
Dieser Diskurs basiert auf drei Axiomen:

  • Es gibt keine absolute Wahrheit.
  • Es gibt keine absolute Realität, die dem Subjekt quasi gegenübergestellt wäre.
  • Die ontologische Grundstruktur der Welt sind fluide Beziehungen zwischen Granulaten. 
Jedes dieser Axiome taucht in jeder der drei Spielarten auf, aber sie betonen sie verschieden. Die Postmoderne unterstreicht, dass es keine absolute Wahrheit gibt und plädiert stattdessen für eine "Wahrheit", die das Ergebnis von Wahrheitsregimen und gesellschaftlichen Konventionen ist. Der Konstruktivismus, wie ihn etwa Heinz von Förster vertritt lehnt jede Art von harter Realität zugunsten einer menschliche "geschaffenen", eben konstruierten Realität ab. Und die Kybernetik argumentiert, dass, da alles nur Granulate sind, die sich ständig verändern und komplexe, jedoch unbeständige Verhältnisse eingehen, es darum geht, vernetzt/komplex zu steuern. 

Aber wo ist das Problem?

Das Problem ist, dass dieser Diskurs so wirkt/scheint, als sei er befreiend: Befreiend von den Einschränkungen, die Wahrheit und Realität dem Subjekt auferlegen, aber auch befreiend von der Autorität, die zwingend damit einher geht. Tatsächlich ist es aber so, dass Postmoderne-Kybernetik-Konstruktivismus ideal in den und zum Neoliberalismus passen. 

Sunday, December 11, 2016

Tut dies in meinem Gedächtnis.

Die Zeit, die vergeht, die von Uhren gemessen wird, ist sozusagen linear, das heißt eindimensional im physikalischen Sinne, 1D, es reicht eine Koordinate, um einen Punkt darauf eindeutig zu beschreiben. Dazu gibt es (nicht parallel, sondern) orthogonal eine andere Zeit, nämlich die messianische Zeit, die Zeit des Evangeliums, die Zeit in der die Dinge wirklich zählen. 

In vielen Glaubenssystemen gibt es die Vorstellung, Menschen hätten eine tiefere Identität, die aber im Laufe von Geschichte und Kulturentwicklung vergessen wurde. Das ist korrekt. Diese Identität ist eben die evangelische Zeit/die Zeit des Evangeliums. Wir sind sozusagen alle mit Jesus durch Palästina gezogen, aber wir haben es vergessen. Anamnesis, das Vergessen/Aufheben des Vergessens, ist es, sich daran zu erinnern. Daran, wer man war - vor zweitausend Jahren.

Wednesday, September 9, 2015

Neidische Engel

Die Ulam-Spirale.
Alles ist endlich. Stell Dir eine unendliche Linie vor, zum Beispiel den Zahlenstrahl der ganzen Zahlen, und parallel dazu darunter einen endlichen Abschnitt.
Beziehungen enden, Menschen sterben, Drogen befriedigen nicht mehr. Danach gibt es noch ein Flimmern, ein Echo, ein Rauschen, aber das ist nicht real, sondern wie Signalfahnen auf der Mauer einer verlassenen Burg: Wenn der Wind weht, flattern sie mit, aber sie signalisieren nichts mehr.
Dies ist ein wesentlicher Bestandteil der Welt, er macht einen Teil der Essenz der Welt aus.

Aber was ist das Gute an der Endlichkeit?

Endlich zu sein, macht frei. Das ist der große Vorteil der Endlichkeit.
Stell' Dir vor, Du wärst ein Schlüsselmacher und Du würdest eines Tages, vielleicht aus Versehen, den perfekten Schlüssel herstellen. Der perfekte Schlüssel: Er ist wunderschön und öffnet jede Tür. Dann wäre Deine Schlüsselmacherei vorbei: Ab jetzt wärst Du gezwungen, nur noch den perfekten Schlüssel herzustellen (denn wenn es ihn gibt, dann wäre jedes sich-mit-geringerem-zufrieden-geben schäbig).
Nur dadurch, dass Du nicht den perfekten Schlüssel herstellen kannst (oder wirst), bist Du frei, ein Schlüsselmacher zu sein. Wesen, die diese Endlichkeit nicht haben, Engel und Roboter, beneiden uns, Menschen, darum.

Tuesday, September 8, 2015

Ist die Welt chaotisch?

Ist die Welt chaotisch? Chaotisch im griechischen Sinne: ungeordnet, grausam, zufällig, leer. Drei mögliche Antworten:
Walter Crane's Four Seasons Painting

1. Die heidnische Weltsicht

In allen heidnischen Religionen ist die (sichtbare) Welt der ultimative Horizont. Die Welt ist alles, was da ist. Das Ziel der heidnischen Religionen ist die Herstellung, beziehungsweise Erhaltung einer kosmischen Harmonie. Diese muss mühsam errungen werden, denn die Welt ist immer von Chaos bedroht. Man kann sich das tatsächlich so vorstellen, dass im Heidentum unsere Welt eine Insel der (mehr-oder-weniger) Harmonie in einem unermesslichen Ozean des Chaos ist.

2. Gnosis
Über ihre Wirkungszeit als aktive Sekte wirkt die Gnosis auch heute noch nach. Sie geht davon aus, dass die Welt, alles Materielle, von einer bösartigen, niederen Gottheit geschaffen wurde. Unsere Seele dagegen kommt von der höchsten Gottheit, ist in dieser Welt gefangen und wird nach dem Tod zu ihr zurückkehren.

3. Christentum
So verschieden Heidentum und Gnosis auch sind, sie haben eines gemeinsam: Sie gehen davon aus, dass es eine benennbare Struktur der Welt gibt. Im Christentum wurde die Welt von Gott geschaffen, aber sie ist sozusagen "leer". Weder wird sie von Quasi-Gottheiten bevölkert noch gibt es einen Bauplan, der irgendwie hinter der Welt liegt. Das bedeutet, dass die Welt "ontologisch offen". Der Mensch kann diese Öffnung ausnutzen, ist aber somit auch für die Welt, das Leben und das Materielle, verantwortlich. Ein Christ steht zur Welt weder pessimistisch noch optimistisch, sondern partiotisch: So wie ein Partiot zu seinem Land, um dessen Schwäche er weiß, an dessen Entfaltung er aber tätig mitwirkt.

Eine Welt, die weder intrinsisch heilig ist noch einen verborgenen Bauplan hat - ist das nicht eine sehr atheistische Sicht? 

Ja, klar. Aber Atheismus ist nicht notwendigerweise etwas schlechtes. Die ersten Christen wurden von den Griechen "die Gottlosen" genannt. Harter Atheismus hat sehr viel mehr mit hartem Christentum zu tun als beide etwa mit der Esoterik.
Beide treffen eine Welt an, die noch nicht einmal schlecht, sondern nur leer, unbestimmt ist. Der krasse Unterschied zwischen beiden ist, dass im Christentum der Mensch im Mittelpunkt steht und im Atheismus, irgendwie, am Rande.
Außerdem bleibt der Atheismus bei der Unbestimmtheit und Leere der Welt, wohingegen das Christentum davon ausgeht, dass die Welt einen Sinn hat (worin auch immer dieser bestehen mag).

Saturday, September 5, 2015

Nothing is permanent

Das Leben ist mit dem Tod vorbei. Das musst Du einfach so hinnehmen. Danach kommt für Dich, mich, für uns alle, für das Subjekt kein Weiterleben, kein neues Leben, keine Wiedergeburt und kein Quasi-Leben. 
Was danach kommt, ist etwas ganz anderes - so wie eine Pflanze etwas ganz anderes ist als ein Samen. Dieses Ganz andere geschieht aufgrund eine göttlichen Intervention. Es ist also kein regulärerer Teil des Lebens-Systems.

Warum ich ein gläubiger Katholik bin

Leute sind immer überrascht, wenn ich sage, dass ich praktizierender Katholik bin. Deswegen möchte ich die Gründe dafür kurz darlegen:
Henry Tanner - Nicodemus visiting Jesus
Ich glaube, dass das Leben einen Sinn hat. Mit Leben meine ich weder das Prinzip Leben (Bios) noch die Gesamtheit des Lebens noch Gaia oder die Welt als Ganzes, sondern die menschliche Existenz. Dieser Sinn hängt irgendwie mit Gott zusammen. Im Sinne von Thomas von Aquin ist Gott Wirklichkeit, actualitas, und in Jesus öffnet sich diese Wirklichkeit für uns oder vielleicht auch zu uns, Menschen. 
Das ist alles christliches Denken. Was ist das spezifisch katholische daran? Ich bin aus zwei Gründen nicht nur Christ, sondern ganz explizit Katholik: 1. Weil die katholische Kirche das sinnliche am Leben betont. 2. Weil sie tendenziell auf der Seite der Vernunft und der intoleranten Liebe steht.

Aber warum bist Du dann nicht Zeuge Jehovas? Bei denen ist doch alles logisch?

Wenn ich mir den "Wachturm" durchlese, kommt mir alles darin tatsächlich sehr schlüssig und logisch vor. Allerdings gibt es einen Unterschied: Im Katholizismus ist der Kern des Glaubens kein Wissen und kein der Vernunft zugängliches Faktum, sondern eben ein ... Glaubensding, etwas Unvernünftiges. Dies ist die Ausnahme von der Vernunft, die Vernunft ermöglicht. Außerdem sind die Zeugen Jehovas prüde, während Katholiken in der Regel sexbesessen sind und Kunst mögen. 

Wednesday, February 5, 2014

Alles auf Chesterton

G.K.Chesterton wird unterschätzt. Man aus ihm mehr 'rausholen kann als ihn nur als populistischen Theologen zu behandeln. Denn wenn man das Theologische von Chesterton abzieht, ist er Werkzeug zur Überwindung der Postmoderne.
Was zum Beispiel das Beharren auf der Suche nach der Wahrheit betrifft. Wenn man sich seine Argumentation ansieht, dann ist es halt nicht der Inhalt seines Denkens, sondern sozusagen dessen Form, die auch heute noch gültig ist. Heute vielleicht noch mehr als zu seiner Zeit, weil er, um seinen Punkt zu verdeutlichen, seinen Gegenpart überzeichnet. Chesterton ist so eine Art Anti-Nietzsche. Ein Kulturkritiker, klar, aber irritierend plausibel. Wenn es uns so gut geht, wie noch nie zuvor und wir trotzdem so wenig lebenslustig sind und Risiken vermeiden, ist etwas schief gelaufen. Dieses Etwas ist laut ihm der Rückfall hinter die Moderne, hin zu einem falsch verstandenen Heidentum.

Sunday, June 9, 2013

Semantisches Web

Der nächste große Trend im World Wide Web, und zwar in einer Liga wie das Web 2.0, ist das Semantische Web. Das heißt: Google und Konsorten versuchen, die Technik dazu zu bringen, zu verstehen, was die Worte bedeuten.
Momentan ist es so, dass Suchmaschinen et al. Worte als Black Boxes betrachten, mit denen man bestimmte Operationen durchführen kann (sie "durchdringen" das Wort also nicht, beziehungsweise verstehen den Sinn des Wortes nicht).
Google ist schon nahe dran, Wörter zu verstehen; wenn man mit GoogleMail eine eMail schreibt, das Wort "Anhang" verwendet und nichts anhängt, erscheint ein Dialogfenster: "Möchten Sie einen Anhang beifügen?". Google macht das über einen Eintrag in einer Datenbank, worin steht: "Wenn jemand das Wort "Anhang" verwendet UND keinen Anhang anhängt, DANN öffne das Dialogfenster."
Nun könnte man nach und nach für jeden Begriff so einen Befehl schreiben und auf diese Weise mit technischen Mitteln die Normalsprache abbilden.
Das Problem ist jedoch, dass dann die Datenbanken gigantisch werden (Big Data). Zu deren Verwaltung reichen die herkömmlichen logischen Verknüpfungen (die weiterhin mehr oder weniger auf der Boolschen Logik basieren) nicht mehr aus. Wie kommt man auf bessere? Die Semantik, als philosophische und philologische Wissenschaft könnte hier helfen. Die Frage ist also, ob die Theorie schon weiter ist als die Technik und falls ja: Wie man das nutzen könnte.
Man denkt oft (unnötig eingeschränkt) die Innovation nur aus der User-Perspektive. Besser wäre vom System aus Neues zu denken (um auf wirklich Neues zu kommen).

Bitte vergleiche auch hier, warum das bei der Kunst nicht funktionieren würde.

Sachen und Dinge

Derrida zufolge neigt das westliche Denken dazu, Hierarchien zu bilden. Klar sind Ideologien nicht so gut, aber ganz ohne Ideologien wären wir keine intelligiblen Subjekte mehr. Darauf wies schon Althusser hin.
Was der Philosophie und der Theorie generell ja oft vorgeworfen wurde, ist, dass sie sich nur um die Begriffe, nicht aber um die Dinge selbst kümmert. Adorno versucht zu bestimmen, an welcher Stelle sich die Begriffe und die Sachen treffen.
Zitat Adorno (Aus der Negativen Dialektik, Abschnitt "Entzauberung des Begriffs"): "Tatsächlich kann keine, selbst nicht der extreme Empirismus, die facta bruta, an den Haaren herbeischleppen [...] keine Einzeldinge in die Texte kleben." Niemand zweifelt ja daran, dass es so etwas wie Realität gibt und, nun, Begriffe sind Teil der Realität.

Tuesday, May 21, 2013

Ludwig Wittgenstein



Auf philosophischen Gruppenfotos fällt Ludwig Wittgenstein stets auf.
Es gibt eine Sache, die man wissen muss, wenn man Wittgenstein liest: Er hat eine frühe Phase und eine späte Phase und die beiden unterscheiden sich. Er unterscheidet sich in jeder dieser beiden Phasen massiv von dem Wittgenstein, der er in der jeweils anderen Phase ist. Zu jeder Phase gehört ein Buch: Zur frühen der Tractatus Logico-Philosophicus, zur späten die Philosophischen Untersuchungen.

Im Tractatus Logico-Philosophicus versucht Wittgenstein die einzelnen Elemente von Sprache und Wirklichkeit herausarbeiten und aufzuzeigen, wie sie sich aufeinander beziehen; er will beweisen, dass der logische Aufbau der Welt den logischen Aufbau der Sprache spiegelt (sogenannter Logischer Atomismus). Der Wittgenstein des TLP ist ein großer Fan vom Zurückgehen auf Grundbausteine. Das ist seine Methode und das meint er, wenn er zu diesem Zeitpunkt in seinem Leben von Analyse spricht. Dahinter steckt eine Bevorzugung der Tiefe gegenüber der Oberfläche. Das kann man ihm nicht vorwerfen; das ist in Europa ein tiefsitzendes kulturelles Vorurteil; nämlich, dass Oberfläche etwas schlechtes und Tiefe etwas gutes sei. Ständig wurde in der Philosophie auf die "Tiefenstruktur" verwiesen: Im Strukturalismus, bei Chomsky, in der Tiefenpsychologie. Der frühe Wittgenstein würde sagen: Etwas zu verstehen, heißt, es zu analysieren: Also etwas, das sich unter der Oberfläche befindet, nach oben zu heben.

Der späte wird unter "Verstehen" etwas anderes, naja, verstehen. Nämlich: Verstehen als Besinnen. Für den späten Wittgenstein bedeutet Analyse das Gewinnen einer Übersicht. Darum geht es dann in den Philosophischen Untersuchungen. Da betont Witty nämlich die positive Bedeutung der Oberfläche. Damit meint er jetzt nicht, dass man sich auf die Oberfläche beschränken und nicht mehr unter die Oberfläche blicken sollte. Er weist nur bescheiden darauf hin, dass es hier offenbar ein Muster gibt, dem gemäß die Erkenntnis funktioniert. Die Frage, ob die Welt und Sprache wirklich aus kleinsten Einheiten zusammengesetzt ist, lässt Wittgensteinski einfach fallen.

Im TLP hat Wittgenstein den Eindruck, er hätte die Regeln der Logik entdeckt. Später ist er sich da nicht mehr so sicher. Präziser: In den PU stellt er fest, dass Regeln eine gesellschaftliche Praktik sind. Also etwas, das sozial konstruiert wurde. Die soziale Praxis ist damit das Primäre. Aus dieser Perspektive fragt er nun, welchen Stellenwert Logik haben soll, wenn auch ihre Regeln nicht universell gültig, sondern konstruiert (eben nur eine Möglichkeit) sind.

An dieser Stelle wirft Habermas ihm vor, dass das Setzen von gesellschaftlicher Praxis als Begründung von Regeln auf Willkür und Beliebigkeit hinausläuft. Ja, ist halt so, sagte Derrida später, die Alternative ist entweder Logozentrismus ("Die harten Regeln der Logik sagen uns, wie's is'") oder Unverständlichkeit ("Wir haben unsere Regeln - andere haben andere - es spielt keine Rolle").

Manchmal ist Wittgensteinewitsch etwas vernagelt, beziehungsweise er stellt etwas eigentlich ganz banales als große Erkenntnis dar. Zum Beispiel, wenn er feststellt, dass es einen Gegensatz zu geben scheint zwischen dem Wesen der Sprache und dem Alltagsgebrauch  der Sprache. Er identifiziert eine essentialistische Interpretation dieser Beobachtung ("Es gibt den Kern/Informationsgehalt eines Satzes und darum herum liegt so eine Art Wortnebel, den es zu lichten gilt") und eine anti-essentialistische ("Es ist nicht möglich, den objektiven Kern eines Satzes auszumachen"); entscheidet sich aber nicht für die eine oder andere, sondern versucht, die beiden in eine Art Dialog treten zu lassen.

Kann man sagen, dass der späte Wittgenstein ein Phänomenologe ist? Auf jeden Fall interessiert er sich mehr für das Phänomen selbst, statt etwa für seine Struktur. Das als philosophisches Forschungsprogramm auf Deutsch durch zu ziehen, ist nicht einfach: Im deutschen Wort "Erscheinung" steckt ja schon der Platonismus. Etwas er-scheint (das heißt, die Erscheinung ist nicht das nicht-scheinende, also nicht das echte).

Ein Beispiel: Den Sinn einer Kurbel begreift man nicht, indem man die Kurbel analysiert, sondern nur, wenn man die Maschine als Ganzes betrachtet.

Der späte Wittgenstein würde (und zwar im Gegensatz zu Carnap) nicht Heidegger verbieten, sondern nur sagen, dass man mit ihm vorsichtig sein muss. Eine gänzlich logische Sprache wäre lebensunfähig - dass unsere Umgangssprache unlogisch ist, macht unsere Kultur möglich. Das ist auch ganz wichtig, festzuhalten: Der späte Wittgenstein verbietet Analyse nicht, er findet sie nur nicht als zur Wahrheitsfindung absolut unabdingbar. Eine Richtigkeit der Analyse orientiert sich nicht an einem "Wesen" des Dings. Die logische Analyse tut so, als würde sie nur etwas zerlegen, tatsächlich erzeugt sie etwas, bei der Analyse werden die zu analysierenden kleinsten Teilchen erst hergestellt. Der Irrtum des TLP lag darin, zu glauben, alles sei analysierbar nach der Weise des zu reinigenden Kristalls.

Wittgenstein ist nicht grundsätzlich gegen die Frage nach dem Wesen (vgl. PU #92); man müsse sich nur immer des Kontextes klar sein. Man kann nicht unterstellen, dass überall ein Kristall, bzw. ein Wesen drin ist. Wittgenstein sagt nicht, dass die logische Analyse falsch ist, sondern dass sie kontextualisiert werden muss. Wittgensteins Lösung ist, dass wir einfach schauen, wie Sätze tatsächlich funktionieren (statt darauf, wie sie funktionieren sollten).

Wittgenstein fühlt sich von dem großen Käfer ein bisschen eingeschüchtert (Metapher für verdrängte Homosexualität?).Es gibt keine Hierarchie der Worte.
Alle Worte sind gleichwertig.

Die PU sind nicht unbedingt leicht zu lesen. Man fragt sich oft, warum er nicht einfach sagt, was er meint: Titten auf den Tisch! Wittgensteinenstein ist jedoch der Ansicht, dass Dinge, um die es ihm geht, nur in der Bewegung des Denkens erfassbar sind. Man kann sie nicht nennen; man kann nur reden und dann ist ein bestimmter Aspekt des Aktes des Redens das, worum es ihm geht. Deswegen kann man seine (späten) Texte auch nicht ohne weiteres auseinanderfrickeln und dann Lexikon-Eintrag-mäßig anordnen: Dann ginge was verloren.

Damit steht er in einer Reihe mit Philosophen wie Platon oder eben Derrida, dieser Partynase. Die beide schreiben Dialoge oder dialogartige Texte, weil sie wollen, dass der Leser selbst denkt. Bei Witty ist der Focus ein bisschen anders: Er glaubt, dass, je nachdem, von wo aus man blickt, dieses oder jenes die Wahrheit ist. Das Dialogische bei Wittgenstein kommt außerdem daher, dass er immer versucht, die Position seines Gegners mitzudenken.
Dabei ist das mit dem Gegner so eine unklare Sache. Es ist keineswegs klar, wer sein Gegner ist und wogegen Wittgensteinski da gerade eigentlich anschreibt.
Gilt übrigens auch für Derrida.